In Afrika leidet auch die Tierwelt unter den Auswirkungen der Corona-Krise: Weil keine Touristen mehr auf Safari in die Nationalparks kommen, jagen Wilderer nahezu unbemerkt. Fast täglich entdecken Ranger neue Kadaver.
Fast zweieinhalb Monate amtlich verordneter Lockdown haben den Südafrikanern zugesetzt. Vor Lebensmittelausgaben bilden sich lange Schlangen, Ärzte beklagen immer mehr Fälle von Unterernährung, die Arbeitslosigkeit dürfte nach Prognosen demnächst auf 50Prozent klettern. Nun leidet auch die einzigartige Tierwelt. Hatte die harte Ausgangssperre anfangs dazu geführt, dass in den Nationalparks des Landes Frieden herrschte, beobachten Ranger derzeit wieder mehr Fälle von Wilderei.
Im Pilanesberg-Nationalpark und den Schutzgebieten Mafikeng und Botsalano haben Mitarbeiter der Nationalparkbehörde und Artenschützer der Organisation „Rhino 911“ Dutzenden Nashörnern das Horn abgeschnitten, um sie vor den Wilderern zu schützen. Das Horn besteht aus Keratin, einem Faserprotein, das auch in Haaren und Fingernägeln enthalten ist. Genaue Zahlen darüber, wie viele Nashörner gewildert und wie viele enthornt wurden, werden zurückgehalten, um die Tiere zu schützen. Nico Jacobs, Hubschrauberpilot und Gründer von „Rhino 911“, berichtet, bei seinen Rundflügen entdecke er in letzter Zeit fast jeden Tag die Kadaver abgeschlachteter Nashörner.
Tote Rhinozerosse in Safari-Regionen
Ohne das wertvolle Horn haben die Tiere, die ein Gewicht von bis zu 2,6 Tonnen und eine Körperlänge von fast vier Metern erreichen können, für die Wilderer kaum einen Wert. Für ein Kilogramm Horn werden derzeit rund 60.000 Dollar gezahlt. Hauptsächlich in der High Society von Ländern wie China oder Vietnam ist das Pulver als vermeintliche Medizin gegen alle mögliche Leiden beliebt – und teurer als Gold oder Kokain.
Seit drei Jahren unterstützt „Rhino 911“ das „Dehorning“. Die Methode ist nicht unumstritten. Zwar wächst das Horn wieder nach, allerdings wenden Kritiker ein, hornlose Nashornbullen seien nicht in der Lage, sich gut zu verteidigen. Zudem wurde in der Vergangenheit die Beobachtung gemacht, dass afrikanische Wilderer auch Nashörner ohne Horn abgeschlachtet hatten: aus Frustration, weil sie tagelang den Spuren eines für sie wertlosen Tiers nachgejagt waren, oder um zu verhindern, dass dies ein zweites Mal geschieht.
Zurzeit sollen in Afrika noch ungefähr 18.000 Breit- und 5500 Spitzmaulnashörner in freier Wildbahn leben. Zwar wurden in den vergangenen zehn Jahren rund 9000 afrikanische Nashörner wegen ihres Horns getötet, allerdings ging die Wilderei zuletzt leicht zurück. Dieser Erfolg steht nun auf dem Spiel. Auffallend ist, dass in den vergangenen Wochen Rhinozerosse vorwiegend in Gegenden getötet wurden, die bei Safari-Touristen sehr beliebt sind und für die Tiere als sicher galten.
Die Touristen fehlen
„Die Anwesenheit von Besuchern schützt die Tiere“, sagt die Deutsche Sandra Claassen, die in Kapstadt das Reiseunternehmen „Elela Africa“ betreibt und sich auf nachhaltigen Tourismus spezialisiert hat. „Nun haben die Wilderer freie Bahn. Nahezu unbemerkt können sie sich in den Nationalparks bewegen.“ Anders als Tansania, das den Reiseverkehr wieder zugelassen hat, hält die südafrikanische Regierung aus Angst vor dem Coronavirus seine Grenzen für Urlauber geschlossen und will sie erst wieder im nächsten Februar für den Tourismus öffnen.
Für viele Südafrikaner wäre das eine Katastrophe. Nach Angaben der südafrikanischen Regierung sind im Tourismussektor des Landes mehr als 700.000 Menschen beschäftigt. Damit hängt fast jeder zehnte Arbeitsplatz am Geschäft mit den Urlaubern. Fast 17 Millionen Touristen besuchten das Land am Kap im vergangenen Jahr. Doch nicht nur Südafrika ist betroffen. In ganz Afrika sorgt die Reiseindustrie für Einnahmen von rund 39 Milliarden Dollar. Und auch aus Kenia und Botswana melden Ranger in der touristenfreien Zeit eine Zunahme der Wilderei.
Nicht nur die Aufmerksamkeit durch die Safari-Urlauber wird in Serengeti, Okawango-Delta und Kruger-Park vermisst. Die Ranger bangen um ihre Jobs. „Der Unterhalt von Wildhütern ist extrem teuer und ohne Einnahmen aus dem Tourismus kaum zu finanzieren“, sagt Claassen, die unter anderem am Rande des südafrikanischen Hluhluwe-iMfolozi-Parks eine Dorfgemeinschaft unterstützt. Sie befürchtet nun, dass der Hunger viele Menschen wieder in die Wilderei treiben wird.